Die Sequenzierung von Genmaterial ist spätestens seit dem Auftreten der Corona-Mutationen ein vielfach diskutiertes Verfahren. Aber auch in anderen Teilen der medizinischen Forschung stellt sie ein bewährtes Verfahren dar, beispielsweise um Veränderungen von Tumoren oder genetisch bedingte Erkrankungen zu erkennen. Eine Gruppe von internationalen Wissenschaftlern der Adaptive Immune Receptor Repertoire Community (AIRR-C) will nun noch einen Schritt weitergehen. Durch neueste Entwicklungen auf dem Gebiet der Sequenzierung möchten die Wissenschaftler mit nur einer Blutprobe einen umfassenden Einblick in das menschliche Immunsystem erhalten. Das Centrum für Translationale Medizin, Immunologie und Transplantation der Medizinischen Klinik I des Marien Hospital Herne – Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum ist ein aktiver Teil dieser Gruppe.
„In unserem Immunsystem spielen vor allem die sogenannten B- und T-Zellen eine wichtige Rolle. Sie bilden das spezifische oder erworbene Immunsystem und entstehen als Reaktion des Körpers auf eine durchgemachte Erkrankung oder Infektion“, erklärt Prof. Nina Babel, Leiterin des Centrum für Translationale Medizin, Immunologie und Transplantation. Das besondere an diesen Zellen ist, dass sie spezifisch auf eine bestimmte Erkrankung reagieren, indem sie beispielsweise erkrankte Zellen entfernen oder bestimmte Antikörper ausschütten. Sie können sich an die Krankheitserreger erinnern und erkennen diese wieder. „Jemand, der an einer bestimmten Krankheit leidet, weist daher andere B- und T-Zellen auf als eine gesunde Person“, so die Forscherin. Über die Lebenszeit eines Menschen hinweg entsteht so in dessen Immunsystem eine spezifische, einzigartige Mischung von Zellen und Antikörpern – das sogenannte Immunom.
Einzigartige Zusammensetzung liefert vielfältige Hinweise
Durch die Sequenzierung des Immunoms, bei dem dieses in seine genetischen Bestandteile zerlegt wird, erhalten die Forscher einen Einblick in diese Mischung. Grundlage hierfür ist das sogenannte „high-troughput sequencing“ oder auch „next generation sequencing“ – ein weiterentwickeltes Verfahren mit dem die Sequenzierung deutlich schneller und kostengünstiger erfolgen kann als bisher. „Neben den durchgemachten und bestehenden Krankheiten kann die Zusammensetzung des Immunoms auch Hinweise darauf geben, wie jemand auf eine bestimmte Behandlung oder ein Medikament reagieren wird oder wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Spenderorgan abgestoßen wird“, so der Laborleiter Dr. Stervbo. Die Wissenschaftler erhoffen sich in Zukunft von der Sequenzierung neben der Unterstützung bei der Diagnose von Krankheiten auch Hinweise auf den Therapieerfolg, beispielsweise beim Einsatz der Immuntherapie gegen Krebserkrankungen.
Muster früh erkennen und so Diagnosen stellen
Das Ziel der Forschungsgruppe AIRR-C, zu der Dr. Stervbo zählt, ist, die Sequenzierung des Immunoms weiter voranzutreiben. Das Team arbeitet daran, die Voraussetzungen zu schaffen, um Informationen aus den genetischen Bestandteilen des Immunoms abzuleiten. Dabei kommen zum Beispiel Datenbanken zum Einsatz, in denen die Zellverteilungen gespeichert werden. „Durch einen Abgleich mit den Datenbanken könnten krankheitsspezifische Muster frühzeitig entdeckt und die richtige Diagnose schneller gestellt werden“, erklärt der Wissenschaftler. Auch die Reaktion des Immunsystems auf bisher unbekannte Krankheiten könnte so erforscht und vorhergesagt werden.